Was ist eigentlich romantisch?

Von Birgit Ehrenberg

Einer mag es romantisch, einer weiß damit gar nichts anzufangen. Philosophin Birgit Ehrenberg weiß Rat.

Inhaltsübersicht

Romantik ist Dankbarkeit für ein gemeinsames Erlebnis. Oder Rosenblätter und Kerzenlicht? Eine philosophische Betrachtung unseres Bedürfnisses nach romantischen Momenten.

Keine Romantik in der Beziehung?

Die Romantik ist für eine Beziehung Fluch und Segen zugleich. Mangel daran ist einer der größten Streitpunkte in einer Partnerschaft. „Du bist einfach nicht romantisch genug“ – diesen Satz hat man im Ohr, wenn man an Romantik denkt. Man hat im Ohr, dass ihn eine weibliche Stimme sagt, dass sie ihn aus sich herauspresst, eine enttäuschte Frau die diesen Satz voller Bitterkeit ihrem Mann an den Kopf wirft. Die Männer stehen häufig am Pranger, was Romantik angeht, das Thema füllt so manchen Frauenabend. Männer können nicht romantisch sein – oder sie wollen es nicht oder sie können und wollen es nur am Anfang einer Liebe, wenn sie von Liebeshormonen zum romantischen Handeln gepeitscht werden. Später haben sie diese Zeit dann komplett vergessen.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass nicht nur Männer Probleme mit Romantik haben. Es gibt reichlich Frauen, die gar keine Romantik wollen oder jedenfalls nicht jene, von der Männern oft meinen, dass das punktgenau die Romantik ist, von der Frauen träumen. Ein Zuviel an Romantik kann eine Qual sein.

Dazu ein Beispiel: Eine Frau erzählte mir verzweifelt, dass sie zuerst dachte, ihr neuer Partner sei der Sechser im Lotto. Er war sehr aufmerksam, las ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Er wusste, dass sie gern badet. Deshalb kreierte er ihr jeden Abend ein bombastisches Szenario mit Badeschaum und Kerzenlicht im Badezimmer, dazu ein Glas Sekt und romantische Musik im Hintergrund. Er setzte sich zu ihr auf den Badewannenrand und fragte sie, wie ihr Tag gewesen sei, er hörte ihr geduldig zu, und er sah sie dabei wie ein Bernhardiner treuherzig an.

„Irgendwann hatte ich Angst vor jedem Abend“ erzählte die Frau mir. „Ich hatte das Baden satt. Ich kam mir vor wie in einer Schmierenkomödie. Mein Partner war der Hauptdarsteller. Ich fühlte mich nur als Statistin, das war das Irre. Ich fühlte mich gar nicht verwöhnt, obwohl mein Freund mich nach außen hin wie eine Königin behandelt hat, und er spielte meinen Diener. Dafür musste ich ihn allerdings ständig loben, dafür, wie unglaublich romantisch er ist, eine lebende Legende quasi. Ich hatte Aggressionen gegen diesen Mann. Er kam mir extrem unmännlich vor, unterwürfig und zugleich beherrschend, weil ich eben in dieser romantischen Aufführung zu performen hatte – in seiner Aufführung. Deshalb habe ich eines Tages meine Koffer gepackt. Ich habe Schluss gemacht, weil er zu romantisch war. Das muss man sich mal vorstellen. Er würde sagen, ich habe ihn nicht verdient.“

Mein Partner ist so verdammt unromantisch

Ein anderes Beispiel: Sie und er sind beide keine großen Fans von herkömmlicher Rote-Rosen-Romantik, sie vielleicht noch ein bisschen mehr als er. Sagen wir so: Sie hätte nichts gegen eine romantische Geste.  Und das hat sie ihm gegenüber im Scherz mehrfach gesagt, ein kleiner zärtlicher Wink mit dem Zaunpfahl. Eines Tages überraschte er sie mit einem Pudding. Sie sagte zu mir: „Wir essen nie Pudding, höchstens Weihnachten, ich habe keine Ahnung, wie er auf die Idee mit dem Pudding gekommen ist. Ich glaube, er dachte, etwas Selbstgemachtes, das kommt bei mir an. das schwebte ihm vor. Ich war hin und weg über den Pudding. Das war die Romantik, die ich meine, wenn ich von Romantik spreche. Das ist coole Romantik.“

Hier an dieser Stelle gilt es, hellhörig zu werden. Gibt es verschiedene Modi von Romantik? Gute und schlechte? Und gilt das per se, dass Romantik entweder gut oder schlecht ist  – oder jeweils zu bestimmten Zeiten? Sollte die gute Romantik am Anfang einer Beziehung also eine andere sein als nach zehn Jahren?

Die Geschichte der Romantik

Begeben wir uns auf Spurensuche: was ist Romantik eigentlich? Zunächst einmal ist sie eine kulturgeschichtliche Epoche, die sich vom Ende des 18. Jahrhunderts bis ins späte 19. Jahrhundert verorten lässt. Ob in der Kunst oder in der Literatur, in dieser Zeit wird der Blick des Menschen auf die Welt als Maßstab aller Dinge genommen. Was romantisch ist, das ist damit zuhöchst subjektiv. Die innere Haltung, die die Künstler in der Romantik in ihr Schaffen gelegt haben, ist Schwärmerei, alles wurde in ein goldenes Licht getaucht, idealisiert, mit der Wirklichkeit hatte das oft nichts zu tun.

Mehr muss ich an dieser Stelle gar nicht über die Romantik sagen, kulturhistorisch ist natürlich alles viel komplexer. Für unsere Frage reicht es, wenn wir wissen, dass die Romantik ganz schön egozentrisch war, weil das Ich bestimmte, wie die Dinge der Romantik zu laufen hatten.

Irgendeine tiefe Seele dachte sich aus, was für sie romantisch ist und erhob das zur Doktrin und zum Symbol. Was das Du jeweils darüber dachte, das war weniger bis gar nicht wichtig. Ich muss hier an den Mann denken, der täglich ein Bad einließ, er hat doch auch nicht wirklich an das Wohl seiner Freundin gedacht. Im Grunde genommen wollte er sich mit romantischem Ruhm bekleckern. Romantik kann sehr narzisstisch sein.

In dieser Epoche jedenfalls entwickelte sich die Vorstellung von der romantischen Liebe, von der romantischen Ehe. In den Jahrhunderten davor war die Ehe eine reine Versorgungsgemeinschaft, oft ohne Liebe und erst recht ohne Romantik. Aus dieser Ära wurde die Romantik dann mitgeschleppt bis heute, an den Symbolen hat sich nicht viel verändert, viel Natur, Sonnenuntergänge, Rosen, sanfte Musik. Inszenierungen mit all den „Ingredenzien“, wie sie die Frau in der Badewanne erleben musste, ich möchte fast sagen, ertragen musste.

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Stehen Frauen auf romantische Männer?

Ein weiteres erschütterndes Beispiel für „falsche“ Romantik: Ein Strandresort am Indischen Ozean. Im Sand, zwischen Palmen, aber in der prallen Sonne, ein Tisch, zwei Stühle, ein Mann, eine Frau und ein prachtvolles Frühstück. Mitleidige Blicke von der schattigen, großen Terrasse, die im Übrigen ausreichend Platz für ein intimes Tête-à-Tête bieten würde. Stattdessen Champagner in der tropischen Gluthitze. Sie hat einen roten Kopf und wirkt ein wenig angestrengt. Er stolz. Romantik pur eben. Wahrscheinlich hat er das Gefühl, dass er alles richtig macht. Fehlt nur noch, dass er sie über den Tisch hinweg mit kleinen, leckeren Häppchen füttert und im Rührei ein Ring versteckt ist. Auf diese Weise hat Boris Becker einst Barbara Becker einen Heirats-Antrag gemacht. In irgendeiner Speise oder in einem Getränk war ein Ring versteckt. Alle Boulevard-Blätter jubelten über diese tolle romantische Geste.

Jeder oder jede, der oder die das liest, wird aber unweigerlich zusammenzucken und sich denken, Herrje, hat die Frau einen Hitzekoller bekommen, musste sie ins Krankenhaus und hat sie am Ende gar den Ring verschluckt und ist erstickt?

Ich möchte hier nicht nur die Männer mit ihren romantischen Missetaten in den Blick nehmen. Auch Frauen tun im Dienst vermeintlicher Romantik schrecklich nervige Dinge. Zum Beispiel den Mann mit Liebesbriefchen überschütten, Frauen drücken ihre Gefühle gern aus, das ist wunderbar. Nur sollte man sein Gegenüber nicht damit überschütten und dann auch noch erwarten, dass man selbst täglich eine Flut von Liebeszettelchen bekommt.

Das ist keine Romantik. Da hat sich einer oder eine schlicht ausgedacht, was romantisch sein könnte, hat sich überall etwas aus dem riesigen Romantik-Repertoire herausgepickt und einen Mix „zubereitet“. Die Versuchung ist groß, ich verstehe das, überall wird einem gezeigt, was romantisch ist, in jedem Hollywood-Film, in der Werbung für den Valentinstag, in überflüssigen Beziehungsratgebern, wo es dann vor allem darum geht, die Liebe frisch zu halten durch Romantik  – und rote Dessous zu verschenken.

All das ist keine gute Romantik. Aber: Sie ist gut gemeint.

Die perfekte romantische Situation

Was ist denn nun gute Romantik? Sie ist einer der höchsten Künste in der Liebe, mehr noch, sie ist ein raffiniertes Spiel. Und dafür braucht es ein paar Regeln und ein Talent. Wer keins hat, kann sich darin üben, das ist kein Hexenwerk. Sich an die Regeln halten, das ist schon die halbe Miete. Das Talent kann sich entwickeln.

Ich finde, diese spontane Präsentation eines Puddings ist ein ausgezeichnetes Beispiel für gute Romantik. Warum? Zum einen hat sich der Pudding-Macher ganz souverän dezidiert nicht am gängigen Romantik-Tool bedient. Er hat etwas Neues auf die Beine gestellt. Etwas, das ihm entspricht. Er kocht und backt nicht gern, aber er weiß, dass seine Partnerin das oft macht, sie beklagt mitunter, dass nie jemand für sie kocht. Er hatte beim Plan mit dem Pudding also durchaus etwas Konventionelles im Kopf, nämlich dass Liebe durch den Magen geht. Das stimmt. Nicht alles, was konventionell ist, ist schlecht, Rosen sind keine bösen Blumen, ab und zu kann man eine Rose schenken, es darf nur nicht zur Gewohnheit werden.

Jedenfalls hat der Pudding-Mann einfach eins und eins zusammengezählt, etwas selbst machen, das ist prima, etwas zu essen ebenfalls, doch was? bloß Eine vierstöckige Torte wäre peinlich, weil er nie vierstöckige Torten macht. Das wäre aufgesetzt, künstlich. Romantik muss zu einem passen und natürlich wirken. Und man muss auf die Dosierung achten. Ich bin sicher, dass der Pudding-Mann nach seinem romantischen Riesenerfolg nie wieder einen Pudding macht.  Er wird gewiss ein paar Jahre, wie gewohnt, zwar liebevoll sein und gleichermaßen unromantisch.  Doch eines Tages kommt er wie Kai aus der Kiste mit einer romantischen Überraschung. Man darf darauf gespannt sein. Aber man sollte nicht darauf warten. Das macht seine Frau auch nicht. Diese Weisheit zum Schluss: Auf Romantik darf man nicht warten, jede Art von Anspruch und Pflicht macht sie kaputt. Was man tun kann: man darf sie erwarten. Das ist sehr romantisch.

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