Bedingungslose Liebe: Ideal oder Irrtum?
Bedingungslose Liebe ist die einzige, wahre Liebe, sagen manche. Bedingungslose Liebe ist ein Irrtum, sagen andere. Ist bedingungslose Liebe erstrebenswert oder vielleicht sogar gefährlich? Über das Verständnis von Liebe, Ansprüche, Erwartungen – und Romantik.
Inhaltsübersicht
- Bedingungslose Liebe – was bedeutet das?
- Wie liebt man bedingungslos?
- Ist bedingungslose Liebe die wahre Liebe?
- Braucht eine Beziehung bedingungslose Liebe?
- Bin ich emotional abhängig? – Toxische Beziehungen erkennen
Bedingungslose Liebe – was bedeutet das?
Ich liebe dich, ohne Bedingungen daran zu knüpfen: Was bedeutet das im Alltag, im Beziehungsleben, bei der Partnerwahl? Bedeutet es, die eigenen Bedürfnisse grundsätzlich hintenanzustellen, das Glück des Partners für das eigene Glück bedingungslos zu erfüllen? Kann man einen Menschen lieben, egal was kommt und wie er sich verhält? Und ist das überhaupt gesund oder erstrebenswert?
Jeder möchte so geliebt werden, wie er ist; möchte angenommen werden ohne Bedingungen. In einer Beziehung möchte sich niemand verstellen, um geliebt zu werden. Die Überzeugung, sich Liebe verdienen zu müssen, nicht gut genug zu sein und sich noch mehr anzustrengen für Zuneigung, ist nachweislich ein problematischer Glaubenssatz. Der kann rasch zu einer toxischen Beziehungs-Dynamik führen. Was auch immer ein Partner macht, seine Taten hätten keine Auswirkung auf die Liebe zu ihm. Lügen, Betrügen, Ausnutzen, sogar psychische oder körperliche Gewalt würden keinen Gefühlsverlust bedeuten.
In der Psychologie kennen wir so genannte Abwehrmechanismen, die uns schützen, wenn unserem Körper und unserem Geist Gefahr drohen. Dissoziation beispielsweise, wenn ein Kind abends von der Mutter misshandelt wird, morgens nicht mehr weiß, woher die blauen Flecken kommen und die Nähe der Mutter sucht. Oder Identifikation mit dem Aggressor, wenn die verprügelte Partnerin sagt, es wäre ja auch ihre Schuld gewesen, dass sie ihren Partner so provoziert hat, bis ihm die „Hand ausgerutscht“ ist. Würde das Konzept der bedingungslosen Liebe nicht solchen Strategien Vorschub leisten? Ist vielleicht bedingungslose Liebe schon ein solcher Abwehrmechanismus? Also dass das Konzept bereits eine romantisierte Rechtfertigung liefert, keine eigenen Grenzen aufzuzeigen und für diese einzustehen?
Wie liebt man bedingungslos?
„Für mich ist bedingungslose Liebe, den anderen wie auch sich selbst anzunehmen wie man ist“, schreibt uns jemand auf diese Frage bei Instagram. Ein anderer ergänzt: „Die Liebe selbst ist für mich bedingungslos, aber Beziehungen nicht.“ Was konkret bedeutet das im Alltag? Bereits das Versprechen, füreinander da zu sein in guten und schlechten Tagen, zueinander zu stehen, einander treu zu bleiben. Das sind ja letztlich Rahmen-Bedingungen einer Beziehung. Die allerdings heutzutage auch anders verhandelt werden können als noch vor 50 Jahren. Viele Paare unterscheiden körperliche und emotionale Treue, verhandeln neue Beziehungsmodelle. Doch beim genauen Blick zeigt sich: auch dieses Verhandlungsergebnis ist eine Art „Vertrag“, der wenn vielleicht nicht Bedingungen, so doch Erwartungen formuliert und festschreibt.
Die Unterscheidung zwischen Bedingungen und Erwartungen zeigt sich auch in diesem Zitat: „Geschenke schenkt man auch nicht, wenn man ein Gegengeschenk wartet. Und vielleicht sind Erwartungen auch besser als Bedingungen?“ Würde „Liebe ohne Erwartungen“ aber tatsächlich so etwas anderes bedeuten als die bedingungslose Liebe? Es gibt ja bereits Appelle zur „Radikalen Liebe“ und zur „absoluten Ehrlichkeit in der Liebe“. Tun wir mit diesen Differenzierungen dem wunderschönen Gefühl der Liebe nicht Unrecht, denn implizieren diese Varianten nicht auch irgendwo, es gäbe eine unterschiedliche Qualität in der Liebe? Als „gute“ Liebe, „bessere“ Liebe und womöglich sogar „richtige“ Liebe?
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Ist bedingungslose Liebe die wahre Liebe?
Jeder Absolutheitsanspruch muss scheitern, so wie „immer“ immer falsch ist. Wer erlaubt Außenstehenden ein Urteil über das zu fällen, was zwei (oder mehr) Menschen miteinander verbindet? Entstehen nicht auch Bedingungen erst durch die hohen Ansprüche, die wir stellen? Wer saß noch nicht in einem Date, das weniger romantisch war als sich gestaltete wie ein Vorsprechen oder ein Bewerbungsgespräch, weil das Gegenüber seine Checkliste durchging? Es ist ja doch in sich unlogisch. Kann nur dann bedingungslose Liebe möglich sein, wenn vorher die Bedingungen geklärt wurden?
„Mit dem Begriff ‚bedingungslose Liebe‘ habe ich schon immer meine Probleme gehabt, um es mal neutral auszudrücken“, schreibt Beziehungs-Coach Sandra Hinte. „Um Seite an Seite durchs Leben zu gehen, braucht es mehr als Liebe. Ich erlebe viele Menschen, die dem Disney-Ideal ‚bedingungslos‘ oder ‚seelenverwandt‘ hinterherjagen … , weil sie denken, sie müssten den Partner nur bedingungslos annehmen, dann wird alles gut. Dabei bleiben sie leider oft komplett auf der Strecke. Umgekehrt, sich wie ein manipulativer, rücksichts- und respektloser Trampel zu benehmen und im selben Atemzug bedingungslose Liebe einzufordern, ist das Verhalten eines Kleinkindes.“ Die Furcht, in einer bedingungslosen Liebe übervorteilt und ausgenutzt zu werden, ist groß. Die meisten Menschen haben bereits schmerzhafte Erfahrungen in der Liebe machen müssen und dass sie sich vor erneuten Verletzungen und vor Liebeskummer schützen möchten, das ist nur menschlich – und verantwortungsvoll sich selbst gegenüber.
Braucht eine Beziehung bedingungslose Liebe?
Für manche Menschen ist der Wunsch nach bedingungsloser Liebe bereits reines Ego. Aber viele Menschen wünschen sich eine bedingungslose Liebe und das sollen sie dürfen, das müssen sie dürfen können. Aus therapeutischer Sicht gehört dazu jedoch wohl der Warnhinweis: „Achten Sie auf die Nebenwirkungen: Lassen Sie sich nicht ausnutzen! Setzen Sie Grenzen! Schützen Sie sich vor Missbrauch und emotionaler Abhängigkeit!“
Das Ideal der romantischen Liebe erwartet keine Gegenleistung. Diese Liebe sagt: „Du bist immer liebenswert und liebenswürdig.“ Da ist die bedingungslose Liebe wohl zutiefst berechtigter Wunsch. „Bedingungslose Liebe gibt es wohl nur, wenn beide Partner so ticken“, schreibt jemand auf Instagram. Möglicherweise ist eben genau dies das Geheimnis: Partner, die gleiche Werte leben, können einander vertrauensvoll öffnen und sich verletzlich zeigen und werden belohnt durch eine sichere Verbindung, die nicht an Optimierungswünsche und -forderungen geknüpft ist.
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